Wahrlich,
ich sage Euch! Ist doch die Duisburger Altstadt ein Hort der Armseligen
und Entrechteten. Eine todgeweihte Stätte etwa ist der Singspiel-Tempel
der Miserablen mitsamt seinem teuren Parkhaus. Und eine verrufene
Stätte sowieso ist das nebenan gelegene Puffviertel.
Aber nicht weit von diesen Sündenpfuhlen lauert auch die Gnade
Gottes: So wie vor zweitausend Jahren die ersten Christen Roms in
Richtung Fisch nach untertage strebten, so bietet sich auch heute
eine Katakombe in der Altstadt rechtschaffenen Christenmenschen
an. In dieser Katakombe grinst der Schweinepriester scheinheilig
vor sich hin. Ein kleiner rundlicher Herr. In schwarzem Ornat mit
Bäffchen. Der Inbegriff des Pfaffen ist jedoch kein echter
Gottesmann. Die jungen Christen, die sich in dem dunklen Raum zu
versammeln pflegen, haben die grinsende Plastikfigur zum Spendensammeln
verdonnert. Der Schweinepriester hält im Vereinslokal der Duisburger
Jesus Freaks für sie den Klingelbeutel.
Sonst hat der Laden nix sakrales. Die ebenerdig gelegene Katakombe
wirkt wie eine Teestube mit psychedelischem Setting. Ihr schwarze
Tarnnetz-Himmel ist mit einer Kette grüner Leuchtdioden drapiert.
Barhocker mit schmiedeeisernen Beinen stehen an der Theke und an
den paar Wandtischen. An der Wand der kleinen Bühne, neben
dem Elektrodrart, hat ein Sprayer ein grünes Männergesicht
mit Nasenring hinterlassen. Daneben eine Ikone aus der guten, alten
Hippiezeit: Vorderansicht der rechten Faust mit nach oben gestrecktem
Zeigefinger - das Symbol der Jesus People.
An diesem frühen Freitagabend ist der Kicker schon mit zweimal
zwei besetzt. Nico (28) macht heute abend den Mann hinter der Theke,
an der es statt Bier nur Eis und Softdrinks gibt. Der Sozialhilfeempfänger
mit den hinter die Ohren gelegten Rastalocken hat sich heute den
Soundtrack von Detlef Bucks Karniggels-Film zugelegt. "Für
drei Mark auf dem Ramsch, ein echtes Schnäppchen", freut
er sich und schiebt die Scheibe rein. Die namenlose Combo hinter
den Boxen hat den Blues. Doch Nico steht eher auf die harte Kost
mit der geballten Ladung Hoffnungsschimmer. Auf 'The Absorbed' etwa.
Deren Ding ist nichts geringeres als Christian Hardcore.
Das bootleg der in Gott vertieften Punks ist Kult in der Katakombe."God,
your are so wonderful, I cannot show your holyness", schreit
der Leadsänger. Etwa so, wie die frühen 'Slime' seinerzeit
"Polizei, SA, SS" gegröhlt haben. Conny (30) aus
Kempen sitzt dieweil in einer Art Chill-Out- Raum nebenan auf dem
Lederpolster einer ehemaligen Couch. Angetan mit einer dieser schwarzen
Flokatijäckchen und der bunten Hose verkörpert sie den
Kleidungsstil der Retro-Hippies. Jenseits des Lebens in der Gemeinde
von rund zwei Dutzend Freaks im Ruhrgebiet arbeitet sie als Erzieherin
im Mülheimer Jugendamt. In der Katakombe ist sie eine der Leiterinnen
der Gruppe.
Vor Jahr und Tag hatte die junge Frau ihre Offenbarung auf dem
Gipfel eines Schweizer Berges, "ein Aha-Erlebnis, daß
mir bewies, daß es Gott gibt und daß er mich liebt".
Conny spricht auch von ihrer Jugend. Davon daß sie sich in
der zu Schulzeiten in Sachen Umweltschutz engagierte. Davon daß
sie schon immer gern geholfen hat. Und immer schimmert durch, daß
das Ding mit Gott schon immer ihres war. Nur daß sie in der
Vergangenheit mit ihrer Gottesschau bei anderen Gläubigen nicht
gut aufgehoben schien. Aufgrund des Wissens ihrer Offenbarung fühlt
sie sich aber allzeit gut behütet und auch zur Kritik berufen.
"Die Sprache der Kirche ist nicht meine Sprache, Kirche ist
ein Rentnergetto", spricht Conny, "so erleben wir Jesus
Freaks das."
Tatsächlich bemühen sich die etwa zweitausend deutschen
Jesus Freaks um einen ausgesprochen jugendlichen Duktus. Für
die höchtens Mitte dreissig Jahre alten Leute gibt es "nix
spannenderes, als für den Captain des Universums zu leben".
Denn der "abgefahrene Gott hat Bock darauf, Dein Leben zu revolutionieren".
Zumal "man seine Scheiße bei ihm abladen kann".
Zu diesem Behufe werden bei Null-Acht-Fuffzehn-Christen Kulte wie
Gebet und Gottesdienst gepflegt. Jesusfreaks geben sich vierzehntägig,
thank god, it's friday, ihren "Abhängabend mit Big Daddy".
Andy (30), Connys Mann, dürfte dann mal wieder sein Longsleeve-T-Shirt
mit der Rückenaufschrift 'Jesus Terror Force' tragen. Oder
der Erzieher drapiert sich, weil jetzt Sommer wird, mit einem kurzärmeligen
Spruch: 'Macht kaputt, was euch kaputt macht: Sünde!'
Der Ex-Punk kam zu den Jesus Freaks, weil ihm die Kirche Ärger
machte. Auf der Suche nach Gott und einem Ort der Geborgenheit mußte
er sich von konventionellen Brüder und Schwestern sagen lassen:
Zieh' dich ordentlich an! Hör' gefällige Musik! Aber dann
ist er zu einem Abhängabend nach Hamburg gefahren und hat seinen
Glauben gefunden. In der Hansestadt wurde die schräge Lehre
von den Jesus Freaks erstmals vor acht Jahren verkündet. Ihr
Stifter ist Martin (33). Der abgebrochene Theologiestudent glaubt,
"daß Gott die Jesus Freaks berufen hat, schrill und laut
zu sein". Also veranstaltet er mit den Seinen schon mal ein
Spektakel in seiner großen Gemeinde. In Leichenträgerkostümen
ließ er seine Jünger einen Sarg tragen, sprang im Lendenschurz
aus dem Sarg und predigte die Auferstehung Christi.
Jenseits der Pose schwört der selbsternannte Pastor auf die
fundamentalistische Bibelauslegung. Die Irrtumslosigkeit der Bibel
ist grundlegend für die ansonsten lockeren Freaks. In seinen
Predigten wendet sich der hünenhafte Martin energisch gegen
die "von Gott nicht gewollte Abtreibung und Sexualität".
Von Bayreuth bis Duisburg neigen die autonom verfassten Jesus Freak-Gruppen
zu diesen Glaubenssätzen. Das warm up für den Abhängabend
heute zelebriert Conny auf der kleinen Bühne mit ihrer Sister-
Freax-Kapelle. In Sachen Gott-ist-groß spaced der Katakomben-Club
bald mächtig ab. Sodann gibt headliner Andy seine Predigt kund
und zu wissen. Alles kann, nichts muß: "Ich erzähl'
meistens was aus meinem Leben mit Jesus", erläutert Ex-Punk
Andy, ", jeder kann seine Erfahrungen beisteuern, wir singen
dann auch."
Zwei Dutzend unterschiedlich bunte Leute, die meisten aus dem Pott,
stehen auf das Ritual des Abhängabends, das durchaus in Getanze
enden kann. Die Sonderschullehrerin Katarina (28) etwa. Oder Benny
(16), der früher eher dem Okkulten frönte und die Katakombe
erstmal mit umgedrehtem Kreuz betreten hat. Mittlerweile baumelt
das Zeichen des Erlösers richtigherum und gottgefällig
um Bennys Hals. "Gerade derartige Bekehrungen kommen bei uns
häufig vor", sagt Andy. Was durchaus kein Wunder ist:
Denn die warmherzige Betreuung der jungen Interessenten, die hier
mal reinschneien und die coole Pose begünstigen diesen Weg
des Menschenfischens.
Und fühlt sich denn ein Gläubiger zu Gott berufen, spenden
Andy und Conny auch gern das Sakrament der Taufe. Aber zuvor fühlen
die beiden Prediger den Bewerbern ernsthaft auf den Zahn, schließlich
vermittelt dieses Wasserspiel die Gnade Gottes. Das jüngste
dieser hohen Feste begab sich letzten Her bst. Damals versammelten
sich alle Jesus Freaks mit Picknickkorb und Gettoblaster an der
Duisburger Sechs-Seen-Platte.
"Begleitet von zwei Paten haben wir dann Katarina einfach
komplett untergegluckert", erinnert sich Conny, "im Namen
des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes".
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